Was im Bundesgesetzblatt steht ist wurscht (VwGH)

Der Fall Ra 2020/18/0315

Wieder beschäftigt ein abgelehnter Asylwerber nachhaltig die österreichischen Gerichte. Dem somalischen Staatsbürger war offenbar eine Abschiebung in sein Heimatland nicht zumutbar und er erhielt im Oktober 2017 subsidiären Schutz. 

Nachdem der Schutzberechtige aber straffällig geworden war, wurde ihm am 7. Juni 2019 die subsidiäre Schutzberechtigung entzogen, zusätzlich aber festgestellt, dass eine Abschiebung nach Somalia unzulässig ist und eine Frist für eine freiwillige Ausreise erteilt. Die dagegen beim BVwG eingelegte Berufung wurde am 10. Oktober 2019 aber abgelehnt, weswegen mit dem vorliegenden Verfahren der VwGH befasst wurde. 

Die Entscheidung

Die Berufung ist erfolgreich. Der BVwG hat zwar nach dem Buchstaben des Gesetzes geurteilt: da der Somalier ein "Verbrechen" begangen hat (also eine Straftat, die mit mehr als 3 Jahren Strafe bedroht ist - und zudem noch 2 "Vergehen", mit Strafe unter 3 Jahren), war ihm nach §9 Abs (2) Z3 von Amts wegen der Status des subsidiär Schutzberechtigen zu entziehen. Allerdings ist es vollkommen unerheblich, was die gewählten Vertreter der Republik Österreich in ein Gesetz schreiben, wenn es dazu ein Urteil des EuGH gibt. Dieser befand nach Anrufung eines Budapester Gerichtes im Fall Ahmed (C-369/17), dass jedenfalls bei einer "schweren Straftat" eine Einzelfallprüfung durchzuführen ist. Der VwGH hatte dazu bereits ein ähnliches Verfahren mit Berufung auf das EuGH Urteil am 14.3.2019 entschieden. Leider hatte der BVwG auf die Einzelfallprüfung verzichtet, keine mündliche Verhandlung durchgeführt und daher hob der VwGH die Aufhebung der subsidiären Schutzberechtigung wieder auf: "Vielmehr hätte das BVwG - gegebenenfalls nach Vorlage des Strafaktes - etwa auch die Höhe des entstandenen Sachschadens und die Gründe für die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe (vgl. die Voraussetzungen des § 43a Abs. 3 iVm. § 43 Abs. 1 StGB) zu berücksichtigen gehabt."

Asylwatch meint dazu

- Wieder ein Fall eines Asylwerbers, der seit Jahren die Gerichte beschäftigt - nicht nur die Asyl- und Verwaltungs-, sondern auch die Strafgerichte - dem noch von niemanden beschieden wurde, er hätte eine Asylberechtigung.

- Wieso gesunde Männer, die athletisch genug sind, um Einbrüche zu begehen, nicht nach Somalia abgeschoben werden können, ist vollkommen rätselhaft. 

-  Das zitierte Urteil des EuGH wäre einen eigenen Eintrag wert, der vielleicht noch nachgeholt wird (https://tinyurl.com/y5l77xq6). Der Fall befasst sich mit der Frage, ob es zulässig ist, eine "schwere Straftat" nach der lt. EU-Richtlinie jemandem Asyl verweigert werden kann, nur nach der Höhe des Strafmaßes festzustellen. Die Antwort ist natürlich nein, es benötigt in jedem Fall eine Einzelprüfung durch das Gericht. 

- Der bereits festgestellte Elfenbeinturm ist also wieder am Werk. Denn, wie kommt es überhaupt zu einer Verurteilung. Natürlich prüfen Richter in einem ausgedehnten Prozess, ob eine Schuld mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt. Zwar prüft das Gericht nicht, ob die Asylberechtigung oder das Recht auf subsidiären Schutz entzogen werden soll, aber es prüft jedenfalls, ob eine schwere Straftat begangen wurde oder nicht. Angesichts der wohl in die Millionen gehenden Asylverfahren in Europa, wären einfache Regeln sicher wünschenswert: das ist aber mit dem EuGH nicht zu machen, der hier die Nationalstaaten bevormundet. Halten wir fest: der Gesetzgeber eines demokratischen Staates ist nicht berechtigt selbst festzulegen, was ein schweres Verbrechen ist. Das kann nur der EuGH bestimmten und der befindet, es benötigt in jedem Fall eine Einzelfallprüfung durch ein Gericht. 

- Prosaisch formuliert: Ein Herr Ahmed, der wegen versuchten Totschlags in Ungarn verurteilt wurde, schafft es, den EuGH mit seinem Fall zu beschäftigen. Dieser Gerichtshof befindet sich selber als einzig berufene Instanz zu entscheiden, was eine schwere Straftat ist und entzieht demokratischen Staaten die Möglichkeit einen Short-Cut über die Strafdauer mit der ein Tat bedroht ist, zu wählen. 

- Der Somalier, der wegen schweren gewerbsmäßigen Diebstahl teilweise mit Einbruch verurteilt wurde, beschäftigt also weiterhin die Gerichte. Das hier vorliegende Urteil befasste sich z.B. nur mit dem Spruchpunkt A.I des BVwG. Die Spruchpunkte A.II und A.III wurden bereits im Jänner 2020 aufgehoben. 

Erkenntnisse

Die Fülle der Verfahren für einen abgelehnten Asylwerber macht wirklich nachdenklich. 

Zudem zerfleddert das Recht in Österreich zu einem Case Law: es ist vollkommen unerheblich was im Bundesgesetzblatt unter Paragraph soundso steht, wenn sich ein Urteil des EuGH dazu finden lässt (der VfGH hätte die Gesetzesstelle aufgehoben oder eine Frist für die Reparatur erlassen - hier aber bleibt der Paragraph einfach im BGBl stehen, obwohl er längst rechtswidrig ist).  

Der EuGH lässt den nationalen Parlamenten unter der Überschrift der Harmonisierung nicht einmal mehr den kleinsten Raum, Begriffe einer Richtlinie selbst auszulegen. Nachdem die EU nur die "Richtlinien" vorgibt, hätte der EuGH auch entscheiden können, dass es nur dem nationalen Gesetzgeber obliegt zu definieren was eine "schwere Straftat" ist und ein mit 3 Jahren bedrohtes Verbrechen würde in jedem Fall diesem Kriterium entsprechen.

https://www.ris.bka.gv.at/JudikaturEntscheidung.wxe?Abfrage=Vwgh&Dokumentnummer=JWR_2020180315_20200821L01 


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